Kirchensteuer von Atheisten: Wie getaufte DDR-Bürger ins Visier der Ämter geraten

Unsere Schäfchen im Osten – wo sind sie geblieben? Millionen sind getauft, sie gehören zu uns, es sei denn, sie haben sich ordentlich abgemeldet und können das auch nachweisen. Aber wer macht das schon in einem atheistischen Staat? Und wer hebt die Belege jahrelang auf? Da muss doch was zu holen sein, haben sich die christlichen Kirchen gedacht und sind nun dabei, die verlorenen Söhne und Töchter wieder einzufangen, finanziell jedenfalls.

Christina M., heute 53 Jahre alt, erhielt Mitte 2001 eine merkwürdige Aufforderung vom Kirchensteueramt Berlin. Sie wurde gebeten, bei der Überprüfung und Feststellung ihres Konfessionsstatus behilflich zu sein. Wahrheitsgemäß antwortete sie, dass sie zwar evangelisch getauft worden sei, ihre Eltern aber bereits in den fünfziger Jahren den Kirchenaustritt erklärt hätten. Entsprechend sei sie selbst auch nicht mehr konfirmiert worden. Die Kirche habe ihre Nicht-Mitgliedschaft noch zu DDR-Zeiten indirekt dadurch bestätigt, dass man ihr die Übernahme der Patenschaft anlässlich einer Taufe verweigerte. Trotz dieser, wie Christina M. glaubt, eindeutigen Rechtslage kommt einige Monate später ein Steuerbescheid: für zwei Jahre soll sie Kirchensteuer nachzahlen, insgesamt 3.463 Mark. Auf ihrer neuen Lohnsteuerkarte für das Jahr 2002 wird die Religionszugehörigkeit eingetragen, und fortan wird der Obolus an die Kirche monatlich vom Gehalt abgezogen.

Höchste Zeit, einen Rechtsanwalt hinzuziehen, denkt sie sich. Ein Blick ins Kleingedruckte ihrer Rechtsschutzversicherung offenbart allerdings, dass sie bei einem Steuerstreit mit der Kirche keinen Versicherungsschutz genießt. Es könnte also teuer werden, und nach einigen Recherchen im Internet wird ihr bewusst, dass ein Erfolg vor Gericht nicht sehr wahrscheinlich ist. So begründet sie im Vertrauen auf das eigene Rechtsempfinden erneut, weshalb in ihrem Fall eine Steuerpflicht nicht vorliege. Danach gehen einige Schreiben hin und her, und im August 2002 erklärt sie gegenüber dem Amtsgericht unter dem Vorbehalt des schwebenden Verfahrens nochmals ihren Kirchenaustritt, um zumindest für die Zukunft auf der sicheren Seite zu sein.

Ein gutes Jahr später, Ende September 2003, erhält sie vom Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg einen fünfseitigen Widerspruchsbescheid, in dem all ihre Einwände mit umfangreichen Zitaten aus Gesetzen und Urteilen für nichtig erklärt werden. Bis zum Zeitpunkt ihres „wirksamen“ Austritts sei sie eindeutig kirchensteuerpflichtig. Zur Begründung heißt es: „Ihre Kirchenmitgliedschaft wurde nicht durch den Kirchenaustritt Ihrer Eltern in den 50er Jahren beendet … Sie haben weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass ein Kirchenaustritt für Sie vor der zuständigen Stelle erklärt wurde, beziehungsweise dass Ihre Eltern einen derartigen Kirchenaustritt ausdrücklich für Sie miterklärt haben. Darauf, dass Sie der Meinung waren, man werde erst mit der Konfirmation Mitglied der Kirche, kommt es im Übrigen nicht an.“

Christina M. zahlt schließlich aus Angst vor einem möglicherweise teuren Prozess. In anderen Fällen wurde sogar die nachträgliche Zahlung von sechs Jahren Kirchensteuer verlangt. Was für die Betroffenen wie mittelalterliche Wegelagerei erscheint, ist juristisch vor allem ein Streit um die Nachweispflicht. Generell gilt in Deutschland der Grundsatz der Amtsermittlung. Wenn Zweifel an der Aussage eines Bürgers bestehen, müssen staatliche Stellen ihm den Fehler nachweisen. Die Kirchen allerdings, die zwar staatliche Privilegien genießen, indem sie vom Finanzamt die Kirchensteuer erheben lassen, lehnen diese Amtsermittlungspflicht ab. Vielmehr müssen die Bürger, so die Position der Kirchen, ihren Austritt schriftlich belegen. Eine eidesstattliche Erklärung reiche nicht aus.

Mit dieser juristischen Spitzfindigkeit wird nun nach Menschen gefahndet, die zwar getauft, aber als Atheisten in der DDR aufgewachsen sind und nie etwas mit der Kirche zu tun hatten. Für sie war das Thema Religion längst erledigt. Wie hätten sie ahnen können, dass Jahrzehnte später das westdeutsche Rechtssystem von ihnen einen formellen Kirchenaustritt verlangen würde? Selbst diejenigen, die vor einem staatlichen Notariat ihren Austritt erklärt haben, sind nur dann vor der Kirche sicher, wenn sie eine Bestätigung erhalten und bis heute aufbewahrt haben. Nicht immer wurde allerdings eine solche Bestätigung erteilt, und längst nicht alle Archive der DDR-Notariate sind heute noch verfügbar. Trotzdem verlangen ausgerechnet die Kirchen ein Dokument, auf dem Hammer und Zirkel für die Richtigkeit bürgen – eine absurde Forderung, die nun drastische Folgen haben könnte. Denn theoretisch sind Hunderttausende betroffen, und diesen fetten Braten scheinen die Kirchen zu riechen. Der Humanistische Verband Deutschlands vermutet, dass die Kirchenämter zusätzliches Personal eingestellt haben, um die Taufregister mit den Finanzämtern abzugleichen. Anders sei die seit einiger Zeit anschwellende Flut von Streitfällen nicht zu erklären.

Die Kirchen selbst halten sich bedeckt und bestätigen nur, dass Klagen vor Gericht anhängig sind. Die Suche nach zahlenden Mitgliedern stehe jedenfalls in keinem Zusammenhang mit der akuten Finanznot der Kirchen im Osten, lässt die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg verkünden. Auf die Frage, in welchem Umfang nachgeforscht wird und welche Anlässe wahrgenommen werden, gibt es keine Antwort. Ungeklärt ist bislang auch, ob die staatlichen Behörden, die Informationen weiterleiten, dabei allen Anforderungen des Datenschutzes gerecht werden.

Rechtlich unbestritten ist dagegen, dass die Finanzämter befugt sind, von den Steuerpflichtigen im Rahmen der Mitwirkungspflicht Angaben über die Religionszugehörigkeit zu verlangen. Sie informieren dann die Kirchen, die ihrerseits zu dem jeweiligen Fall Stellung nehmen. Danach können Steuerbescheide erteilt werden. Widersprüche sind innerhalb der üblichen Frist von einem Monat einzulegen. Bislang wurden die meisten der bekannt gewordenen Streitfälle durch eine außergerichtliche Einigung gelöst, etwa indem die geforderte Nachzahlung von sechs Jahren auf zwei Jahre verringert wurde. Kulanz nennt das die Kirche, während die Betroffenen weiterhin von Unrecht sprechen. Rechtskräftige Urteile, die sowohl die juristische Praxis in der DDR als auch die besonderen Lebensumstände berücksichtigen, gibt es noch nicht, sind aber in den kommenden Monaten zu erwarten. Wer sich unfair behandelt fühlt, sollte also unbedingt Widerspruch einlegen, weil sich die rechtliche Situation eventuell zugunsten der Kläger verbessert. Sollten dagegen die Kirchen Recht bekommen, ist die deutsche Einheit um ein besonders perfides Kapitel reicher. Denn eines ist gewiss: Ein seelsorgliches Interesse der Kirchenleitungen an der Klärung des Konfessionsstatus besteht nicht.